(Be-)Deutungsansprüche in qualitativer Forschung

Student's Introduction

 

 

Constanze Oth

 



Dass Studierende bei einer universitären Tagung Vorträge halten, in denen sie eigene Gedanken und Ideen festhalten können, ist im wissenschaftlichen Betrieb nicht unbedingt üblich. Umso mehr freue ich mich, Sie heute auch im Namen der Studierenden die an dieser Tagung mitgewirkt haben zum zweiten Tag der Tagung begrüßen zu dürfen.

 

Als ich gefragt wurde, ob ich neben der Mitorganisation der Tagung auch diesen Vortrag halten möchte, war ich einerseits natürlich erfreut und aufgeregt. Gleichzeitig stellte sich mir aber die Frage nach meiner eigenen Motivation hier zu sprechen. Zu sprechen, „nur“ um einen Vortrag halten zu können und um die Chance nicht verstreichen zu lassen, als Studierende zu Wort zu kommen, empfand ich als (für mich) nicht ausreichend bzw. sah ich darin keine Legitimation. Ich hege hier auch nicht die Absicht eine theoretische Abhandlung darzulegen, sondern möchte den Raum nutzen, aus einer Studierendenperspektive Stellung zu der universitären Methodenausbildung der Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen zu nehmen, wie ich sie und viele meiner Kommilitoninnen erleben.

 

Auf einer Tagung, die Subjektivität und Reflexivität zum zentralen Thema ernennt, liegt es nahe –  und es ist vor allem mein eigenes Bedürfnis – meiner Subjektivität als Sozialwissenschaftlerin Rechnung zu tragen und diese in meiner Stellungnahme nicht zu kurz kommen zu lassen. Daher möchte ich  meine Begegnungen mit der Methodenausbildung in Frankfurt kurz skizzieren, um daran anschließend bzw. in einer Pendelbewegung in diesem Vortag einige politische Schlussfolgerungen vorschlagen zu können. Also alles ganz im Sinne der Induktion.

 

Als Anfängerin der Sozialwissenschaften in Frankfurt am Main – wie auch andernorts – erfährt man schnell, dass man um den Besuch von Statistik-Seminaren nicht herum kommt. Ein kleiner Hoffnungsschimmer sind dann die  sogenannten „Forschungskompetenzen 2“, Methoden empirischer Sozialforschung. Darin wird man jedoch meist durch eine kurze Anwendung mehrerer qualitativer Methoden gejagt, um sich anschließend zu fragen, was das jetzt alles bringen soll – wofür also empirische Forschung? Wenn das absolviert ist, kann man in der Regel zwei Szenarien zeichnen (Anmerkung: diese sind überspitzt formuliert). Ein Teil der Studierenden entscheidet sich für die intensivere Ausbildung in quantitativen oder auch qualitativen Methoden, um in die Marktforschung oder andere außeruniversitäre Betriebe zu gehen – sie haben sich für ein instrumentelles Verhältnis zu der Empirie entschieden und verabschieden sich aus dem wissenschaftlichen Betrieb. Die andere Möglichkeit ist, sich vollständig der Theorie zu widmen – insbesondere diejenigen, die in der Soziologie verweilen und sich als „kritische“ Studierende verstehen, meist auch in der Tradition der Frankfurter Schule stehen, bleiben Methodendiskussionen und dem empirischen Arbeiten fern. In jedem Falle ist die Hemmschwelle, sich auf die Empirie einzulassen, bemerkenswert groß.

 

Bis zu dieser Stelle habe ich ganz bewusst auf die Ich-Perspektive verzichtet, denn ich hoffe meinem Anspruch gemäß für möglichst viele Studierende gesprochen zu haben. Nun möchte ich mich aber auch persönlich zu diesem nachgezeichneten Weg durch die universitäre Methodenausbildung in Frankfurt äußern. Für mich stand bis zum siebten Semester meines Studiums die Entscheidung, eine theoretische Diplomarbeit zu schreiben, schon lange fest und fühlte sich auch ziemlich stabil an. Auch ein Empiriepraktikum könne daran nichts ändern, so antizipierte ich. Das Empiriepraktikum in der Frankfurter Soziologie ist bislang im Lehrplan für Diplom- und Master-Studiengänge vorgesehen – ein intensives 1-jähriges Seminar, in dem eine empirische Forschungsarbeit durchgeführt wird. Wegen der eben beschriebenen Skepsis oder gar negativer Affekte gegenüber empirischer Forschung und der impliziten methodologischen Auseinandersetzungen scheint dieses Seminar für viele Studierende meist unter die Kategorie Pflichtschein zu fallen.Dieses von mir besuchte Empiriepraktikum aber konnte Räume öffnen, in denen wir Studierenden, wie auch die drei Lehrenden, mit ihrer subjektiven Wahrnehmung arbeiten und dadurch auch Methodologie erleben und erfahren konnten. Damit meine ich keine Einübung von Methodenanwendung, die vom Gegenstand abstrahiert wäre. Methodologie zu erfahren bedeutete in jenem Seminar eine reflexiv-methodische Haltung einzuüben, in der zunächst ein offenes Sich-Einlassen auf den Forschungsgegenstand und eine Neugier gegenüber der Methoden, die sich besonders für eine Annäherung daran eignen könnten. Dieses Erlebnis steht der Einstellung gegenüber, eine bestimmte Methode „gebrauchen“ zu lernen, wie man etwa später dem Lehrbuch entnehmen kann. Um diesen Punkt nochmals mit Adorno stark zu machen:

 

"In Wahrheit ist die Methode in der Soziologie im weitesten Maß durch den Gegenstand vermittelt, und es kommt entscheidend darauf an, dass die Soziologie dieser Vermittlung selbst innewird."

 

Und ich möchte fragen: Wie kann solch eine Haltung von Lernenden eingenommen werden, wenn die Lehre die hier angeführte Abstraktion von Methode und Gegenstand immer wieder aufs Neue reproduziert und verfestigt? Es ist bezeichnend, dass wir uns heute noch diese alte Frage stellen müssen, zu der sich Vertreterinnen unterschiedlichster  Richtungen heraus bereits vor Jahrzehnten geäußert haben. Zu erläutern, wie mit diesen fortwährenden Kritikansätzen im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb verfahren wird, würde diesen Rahmen sprengen, weshalb ich für den Moment auf eine genauere Analyse zugunsten des studentischen Kommentars verzichte. Ohne in ein Plädoyer für oder gegen bestimmte Methoden zu rutschen, möchte ich die positiven Auswirkungen einer meines Erachtens erfolgreichen Methodenlehre auf meine akademische Sozialisation benennen. Die Erfahrungen, die Studierende mit empirischem Arbeiten machen, können belastend sein. Es werden Unsicherheiten erlebt; Ängste hervorgerufen. Insbesondere dann, wenn empirisches Arbeiten durch eine auffallend starke Prozesshaftigkeit gezeichnet ist. Diese bedeutet ein offenes Ende. Und Unwissenheit auszuhalten ist nicht leicht. Die Furcht, zu scheitern oder sicher Geglaubtes in Veränderung zu sehen und zu spüren ist unmittelbarer präsent, als bei vermeintlich unabänderlichen Theorien und Konzepten. Wir brauchen Lehrende die gemeinsam mit uns neugierig auf den Forschungsprozess sind und Fremdes und Unbekanntes verstehen wollen und uns bekräftigen, eigene Entscheidungen aktiv zu treffen – nicht nur für ein bestimmtest Thema, sondern auch für eine dem Thema angemessene Methode. Es muss einen Raum geben, in dem Studierende ihre subjektiven Erfahrungen mit Wissensproduktion ausprobieren und erfahren können. Wenn ein solches Einüben einer Haltung gegenüber der Empirie und Methodologie in den Sozialwissenschaften gelingt, kann das eine positive Auswirkung auf die ganze Entwicklung einer Forscherin haben, die zu einer höheren Autonomie und Einsicht zumindest in die Logik unserer Disziplin verhilft.

 

Divergenz bezüglich der jeweiligen methodischen Ausrichtung kann dann als ein förderlicher Dialog verstanden werden, nicht als Parteinahme. Methoden werden erfahrbar als konkrete Entscheidungen: Und zwar nicht im „Für oder Wider“, sondern als Entscheidungen für sich. Möglich wird ein reflektierter und kritischer Umgang mit Methoden statt einer wahllosen, passiv widerfahrenden Methodenbeliebigkeit.

 

So kann aus meiner, aus unserer Sicht, eine sozialwissenschaftliche Lehre der Methodenscheu vieler Studierender begegnen, die letztlich nur eines zur Folge haben würde: Wir würden schaffen, besser zu verstehen, was mit uns vergesellschafteten Subjekten geschieht.

 

Constanze Oth

Dipl. Soziologiestudentin

mail@constanze-oth.de

 

 

 

 

 

 

 

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